Die Zerstörung der Melsunger Synagoge durch gewalttätige, staatlich gelenkte, nationalsozialistische Horden blieb Ruth Selbert zeitlebens in Erinnerung. Dieses beklemmende Geschehen, das sie als 14-Jährige in ihrer Heimatstadt miterleben musste, mag ein Beweggrund für die spätere engagierte Arbeit in der DIG gewesen sein.
Aber auch das vertrauensvolle Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter, jener prominenten Kasseler Juristin und Sozialdemokratin, deren Name und Wirken untrennbarer mit Art. 3 Abs. (2) GG verbunden ist („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“), hat zu ihrem politischen und historischen Bewusstsein beigetragen.
1978, vor über vier Jahrzehnten in die DIG eingetreten, prägte sie von 1989 bis 1999 die Kasseler Arbeitsgemeinschaft als Vorsitzende. In diese Zeit fiel 1990 auch die Begründung der Städtepartnerschaft zwischen Kassel und Ramat Gan, an deren Zustandekommen Ruth Selbert und die Kasseler DIG maßgeblichen Anteil hatten. Diese Verbindung füllte sie unter anderem dadurch mit Leben, dass sie zahlreiche über die Kasseler DIG veranstaltete Gruppenreisen mit vorbereitete und begleitete.
Ruth Selbert, geboren im Jahr 1924, erlernte den Beruf der technischen Zeichnerin, arbeitete bis 1946 in der Eisenbahndirektion und holte – nach einem zweijährigen Intermezzo als Volontärin im Bereich Bühnenbild am Staatstheater Kassel – 1949 die Reifeprüfung nach. Sie arbeitete als leitende Angestellte in einem Bauunternehmen, bevor sie 1951 heiratete und nach Geburt ihres Sohnes Axel 1952 die Berufstätigkeit vorüber gehend unterbrach. 1960 wurde Tochter Susanne geboren; Ruth Selbert hinterlässt außerdem drei Enkelkinder und zwei Urenkel.
Das ehrenamtliche Engagement für ihre Stadt und deren Menschen fand auch in ihrer kommunalpolitischen Arbeit seinen Ausdruck. So trug sie über zwei Jahrzehnte im Kasseler Rathaus Verantwortung, zunächst ab 1972 als Stadtverordnete der SPD-Fraktion und stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin und bis 1993 als Mitglied des ehrenamtlichen Magistrats.
Eine weitere Facette dieses Eintretens für ihre Mitmenschen und hier insbesondere für Benachteiligte in der Gemeinschaft waren ihre vielfältigen Aufgaben in der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Diese nahm sie ehrenamtlich sowohl auf Stadtteilebene in einem AWO-Ortsverein wahr, als auch als Mitglied im Vorstand des Kreisverbandes Kassel-Stadt dieses Wohlfahrtsverbandes.
Ruth Selbert starb am 13. Februar 2021 in Kassel, wenige Wochen nach ihrem 97. Geburtstag. Die DIG Kassel verliert einen sozial, politisch und im zwischenmenschlichen Dialog hoch engagierten Menschen.
Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren.
Autor: Wolfgang Schwerdtfeger